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Man muss Gott mehr gehorchen, als den Menschen. (Apg 5,29)
- Montatsspruch für den Monat Juni 2021 -
Der Triumph des Gehorsams?
Petrus ist ein Rebell. Vor dem Hohen Rat triumphiert er. Man muss Gott mehr gehorchen als dem Menschen. Was für ein Mut! Den hatte ich nur ein bisschen.
Damals lasen wir in der Schule Heine: „Wir wollen hier auf Erden schon/ Das Himmelreich errichten.... Ja, Zuckererbsen für jedermann,/ Sobald die Schoten platzen!/ Den Himmel überlassen wir/ Den Engeln und den Spatzen.“ „Und Ulrich“, der Geschichtslehrer stolzierte mit dem großen Zeigestock vor der Klasse auf und ab – wobei der Plastestab sich bei jedem Schritt gefährlich bog, „wie würdest Du diese Zeilen von Heine interpretieren.“ Ich schwieg. Dann schaute er mich fest an und sagte er: „ Also ich denke, dass es keinen Himmelskasper gibt und dass Heine recht hat: Wer an so was glaubt, kann die Gesellschaft nicht gestalten, weil die Wirklichkeit für ihn vorläufig ist.“ Die Klasse gluckste. Und ich hatte einen Kloß im Hals und fühlte mich ohnmächtig. „Aber“, stammelte ich, „es gibt doch auch heute Menschen, die glauben und die, die Welt trotzdem positiv verändern, Albert Schweitzer zum Beispiel.“ Der Zeigestock gab plötzlich nach. „So? Du meinst, Heine hat sich geirrt?“ In diesem Moment klingelte es. „Zur nächsten Woche lernt ihr das Gedicht auswendig!“ Maulend erhoben sich meine Klassenkameraden und murmelten „Mann, Ulrich, nur wegen Dir.“
Später lernte ich, dass Heine mit Karl Marx befreundet war und dass man leicht die marxistische Religionskritik in das Gedicht Heines hineinlesen kann: Religion ist Opium des Volkes, die verhindert, dass Menschen ihr Leben und ihre Gesellschaft gestalten. Darauf wollte der Lehrer wahrscheinlich hinaus.
Heute, lange nach den ideologischen Zuspitzungen, würde ich jedoch kritisch einräumen, dass die Vertröstung aufs Jenseits nicht nur ein historisches Motiv des Christentums ist. Angesichts jahrhundertelanger Leiderfahrungen der Menschheit, hoher Sterblichkeit durch Epidemien, Krankheiten und anderer Katastrophen verkündete die Kirche den kommenden Himmel, den künftigen Triumph der Erwählten. Aber der Triupmph tröstet nicht. Die leidige wird-schon-wieder und wer-weiß-wofür-es-gut-ist Rhetorik gehört auch dazu. Auch Petrus gehört dazu mit seiner Gewissheit: Man muss Gott mehr gehorchen.
Triumph, Vertröstung, Gewissheit tragen eine opiumhafte Bequemlichkeit in sich. Nämlich den Karfreitag, die Ohnmacht zu versüßen, aus dem Gefolterten einen Himmelsherrscher zu machen und den Himmel zum Eiapopeia (Heine!) umzudichten, in dem alles wieder gut wird.
Jesus stellt sich im Garten Gethsemane unter den Willen Gottes, einen Willen, den er nicht versteht und an dem er zweifelt: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe. (Lk 22,42) Die christliche Auslegungstradition sah darin, dass Christus in diesem Moment aktiv dem Willen des Vaters gehorsam war. Die Dogmatik fand dafür den gelehrten Begriff der oboedentia activa – des aktiven Gehorsams. Die scheinbar gelehrte Begriffsspielerei will darauf hinaus: Gehorsam bedeutet sich dem Willen eines anderen zu unterstellen. Und dieser Wille bedeutete zunächst keinen Triumph, kein Vertrösten. Sondern Ohnmacht. Diese Ohnmacht, der Zweifel des sterbenden Gottessohnes, ist das Kennzeichen des Christentums. Das Kreuz drückt Ohnmacht, Ratlosigkeit und Verlassenheit aus. Und der Gehorsam? Er liegt in der Stille, die auf den Verzweiflungsschrei des Jesus von Nazareth folgt. Hier dreht sich alles um. Denn Gott schwieg zu diesem Gehorsam. Im Schweigen hört ER und ist selbst gehorsam - hält aus – mit Jesus - mit Dir!
Pf. Dr. Ulrich Schöntube |
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